Eine wahre Geschichte
dpa
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„Ich fühlte mich wie der Held in Charles Dickens Roman “Eine Geschichte aus zwei Städten”, der sein Leben gab für die Liebe.“
Jens Soering
Der brutale Doppelmord an Nancy und Derek Haysom 1985 war eine Mediensensation. Die Haysoms waren angesehene Mitglieder der virginianischen Gesellschaft – und der Schuldspruch gegen ihre Tochter Elizabeth und ihren deutschen Freund Jens Söring machte viele sprachlos. Die zwei hatten sich im August 1984 bei einem Orientierungsabend für die Hochbegabtenstipendiaten an der University of Virginia getroffen, er war sofort hingerissen von ihr. Sie war schön, unwiderstehlich, verwegen, das Produkt englischer Boarding Schools, er war jung, naiv, Sohn eines deutschen Diplomaten. Als die Ermittler in ihren Untersuchungen Elizabeth Haysom und Jens Söring immer näher kamen, flohen sie aus Amerika. Die Flucht war ein Abenteuer: Europa, Asien. Am 30. April 1986 wurden sie in England wegen Scheckbetrugs gefasst. Elizabeth Haysom gestand bei ihrem ersten Prozess in den USA die Anstiftung zum Mord an ihren Eltern und wurde zu 90 Jahren verurteilt. Jens Söring kämpfte jahrelang gegen die Auslieferung in die USA, auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Erst als die Amerikaner auf die Beantragung der Todesstrafe verzichteten, wurde er in die USA ausgeliefert. Am 21. Juni 1990 wurde Jens Söring wegen Mordes zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Seitdem sitzen beide in US-Gefängnissen, nicht weit voneinander entfernt. Das Versprechen ist ein Film über eine große Liebe und einen großen Verrat und über das amerikanische Rechtssystem, das sich selbst nicht mehr zu hinterfragen scheint.
Mehr als drei Jahre lang recherchierten die Filmemacher, fanden erstaunliche neue Beweise, die nie vor Gericht erwähnt oder als unzulässig erklärt wurden. DNA-Tests haben mittlerweile ergeben, dass keine der am Tatort gefundenen Blutspuren Jens Söring zuzurechnen ist, elf Mal wurde sein Antrag auf Entlassung auf Bewährung mittlerweile abgelehnt, seine Haftüberstellung nach Deutschland wurde von einem demokratischen Gouverneur an seinem letzten Tag im Amt bestätigt, aber von seinem republikanischen Nachfolger an seinem ersten Arbeitstag gestoppt.
Der Film stellt Fragen, die bislang von niemandem gestellt wurden. Wem gehören die nicht identifizierten Fingerabdrücke am Tatort? Warum durfte der sexuelle Missbrauch der Tochter durch die Mutter vor Gericht keine Rolle spielen? Wie kann es sein, dass ein befangener Richter über den Fall urteilte? Wo ist das FBI-Protokoll, das geschrieben wurde, aber unauffindbar ist? Der Film zeigt nie zuvor gesehenes Video-Material der Haysom-Prozesse. Und er zeigt, dass alles auch ganz anders gewesen sein könnte. Läuft der wahre Täter dieses brutalen Mordes möglicherweise noch frei herum?
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“Jeden Morgen, wenn ich die Augen aufschlage und die dicken Gitterstäbe vor meinem Fenster sehe, muss ich an den Abend denken, an dem mein Absturz begann.”
Jens Soering
Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Jens Söring und Elizabeth Haysom nicht ihre eigenen Liebesbriefe aufbewahrt hätten. Als sie am 30. April 1986 in London verhaftet wurden, waren es die unzähligen Liebesbriefe, die die englischen Ermittler skeptisch gemacht haben. Nur wegen der Briefe, in denen Jens und Elizabeth immer wieder indirekt und auch direkt über den Tod der Eltern von Elizabeth fantasieren, fingen die Engländer an, in den USA nachzuforschen. In den damals noch relativ unvernetzten Zeiten wären die zwei sonst vielleicht nur für den Scheckbetrug bestraft worden, bei dem man sie erwischt hatte. In unseren Bonusmaterialien finden Sie exklusive Ausschnitte aus den Briefen – gelesen von Daniel Brühl und Imogen Poots. Es sind Zitate, die einen Eindruck vermitteln, wie obsessiv und stürmisch und besessen diese Liebe war.
„Wenn meine Liebste mir die Treue schwört, dann glaub ich ihr. Zwar lügt sie wie gewohnt, doch soll sie denken, ich sei jung, betört, und von der falschen Welt bis jetzt verschont.“
(Sonett Nr. 138, Shakespeare)
Als Karin Steinberger Jens Söring das erste Mal gegenübersaß, war er seit zwanzig Jahren Gefangener. Er hatte mehr Zeit im Gefängnis verbracht als draußen in der freien Welt. Das war im August 2006. Er erzählte von seiner großen Liebe zu Elizabeth Haysom, von Lüge und Verrat. Es war wie ein Schwall, als rede er um sein Leben. Und immer wieder dieser eine Satz: Ich bin unschuldig.
Das ist jetzt zehn Jahre her. Seitdem hat er ihr fast täglich geschrieben, seine Briefe sprühten vor Zorn, manchmal auch vor Hoffnung. Und bei jedem Besuch wieder Neuigkeiten: Es gab ein Parole-Hearing, bei dem der Vorsitzende vor aller Augen einschlief. Wie alle anderen Bewährungsanhörungen wurde auch diese abgelehnt. Dann tauchte ein Zeuge auf, der Söring entlastete, für den sich aber kein Offizieller interessierte. Es gab DNA-Ergebnisse, aber keine Spur am Tatort konnte Jens Söring zugeordnet werden. Es gab Hoffnung, als Tim Kaine, der demokratische Gouverneur von Virginia, 2010 Sörings Haftüberstellung nach Deutschland verkündete. Und es gab das tiefste Loch, als der republikanische Nachfolger, Bob McDonnell, die Haftüberstellung als erste Amtshandlung wieder aufhob. Jens Söring blieb Gefangener Nummer 1161655, verurteilt zu zweimal lebenslänglich für den Mord an Nancy und Derek Haysom, die am 30. März 1985 hingemetzelt wurden in ihrem Haus in Lynchburg, Virginia. Was immer blieb, war die Frage: Ist Jens Söring schuldig, ohne jeden Zweifel?
Vor drei Jahren fragte Karin Steinberger dann Marcus Vetter, ob er mit ihr einen Film über diesen Fall machen wolle. All die Ungereimtheiten, die Verfahrensfehler, die Fragen, die nie beantwortet wurden. Die Geschichte schien noch nicht zu Ende erzählt. Da saß Söring seit 27 Jahren im Gefängnis. Sie hatten davor zwei Dokumentarfilme zusammen gemacht: „Hunger“ (2009) und „The Forecaster“ (2015). Und jetzt also der Haysom-Mord, eine Geschichte wie in Hollywood erfunden. Zwei Hochbegabte treffen sich an der University of Virginia, sie, schön und verwegen, er, hochintelligent und arrogant. Die zwei verlieben sich, werden ein Paar, dann werden Elizabeths Eltern ermordet.
Die Polizei hat erst keine Anhaltspunkte, kommt dem Paar aber immer näher, Elizabeth und Jens fliehen nach Asien, Europa, werden wegen Scheckbetrugs in England verhaftet. In Verhören gestehen erst beide, dann widerrufen beide. Söring sagt, er habe gestanden, um sie vor dem elektrischen Stuhl zu retten. Haysom sagt: Er war es. Die große Liebe, verkommen zum tödlichen Verrat.
Das Interview, das Steinberger und Vetter im Buckingham Correctional Center mit Jens Söring führen, ist das letzte, das er vor einer Kamera geben darf. Seitdem: Drehverbot. Durch Zufall kommen sie an das gesamte Videomaterial der Prozesse. Der brutale Doppelmord war damals in den USA eine Mediensensation, täglich live im Fernsehen. Das Material ist eine weitere Sensation, alles wird nochmal sichtbar: Wie sich Elizabeth Haysom in Lügen verstrickt, wie der Anwalt von Jens Söring an den Verfahrensregeln Virginias scheitert, wie Jens Söring mit seiner jugendlichen Arroganz alle gegen sich aufbringt, wie Fakten verdreht und entscheidende Fragen nie gestellt werden.
Die Dreharbeiten entwickeln ihren eigenen Sog: Steinberger und Vetter finden den FBI-Agenten, der ein Täterprofil geschrieben hat, von dem die Behörden bis heute sagen, dass es nie geschrieben wurde. Sie gehen mit einem Detektiv auf die Suche nach Zeugen, die vor Gericht nie gefragt wurden, warum auch immer. Sie erfahren, dass der Missbrauch von Elizabeth Haysom durch ihre Mutter immer noch ein Tabuthema ist. Nacktfotos, die die Mutter von ihrer Tochter gemacht hat, sind bis heute versiegelt und unauffindbar.
Als der Film am 24. Juni 2016 auf dem Münchner Filmfest Weltpremiere hat, sitzt Jens Söring seit 30 Jahren, einem Monat und 24 Tagen im Gefängnis. Die Dinge sind schon jetzt in Bewegung geraten. Es bleibt die entscheidende Frage: Ist Jens Söring schuldig, ohne jeden Zweifel?
Im August 2016 bestätigt das Gerichtsmedizinische Institut von Virginia, dass die Blutspuren am Tatort, Blutgruppe 0, nicht von Jens Söring stammen. Damit ist wissenschaftlich bewiesen, dass ein Mann am Tatort war, der nicht Jens Söring ist. Kurz danach überreicht Sörings Anwalt dem Gouverneur von Virginia, Terry McAuliffe, eine Petition, in der die bedingungslose Anerkennung von Sörings Unschuld gefordert wird. Der Film ist Teil der Petition.
München, den 8.8.2016